Bereits Anfang Oktober diesen Jahres machte sich eine 12-köpfige Gruppe auf den Weg nach Ghana in Westafrika. Während der zehntägigen Reise stand vor allem ein Besuch in dem LoszuGhana Children’s Village sowie der Old Adwampong Community School auf dem Programm.
Die Reiseroute wird die zwölf Reisenden von Accra über Kumasi nach Obo am Lake Bosumtwi zum Kinderdorf und der Schule führen. Von dort geht es weiter an die Küste nach Cape Coast und dann zurück nach Accra. Neun der zwölf Reisenden waren noch nie in Ghana, sieben noch nie auf dem Afrikanischen Kontinent. Ob sie aufgeregt sind, fragt Lena Schoemaker die Gruppe vor Reisebeginn. „Schon ein bisschen…aber von deinen Erzählungen wissen wir ja teilweise, wie es dort aussieht. „Ich bin sehr gespannt auf die Kinder im Kinderdorf“ sagt Hindrike Heetderks, Lehrerin an der Grundschule am Roggenkamp. „Unsere Schule unterstützt ja seit einiger Zeit mit verschiedenen Aktionen wie z.B. dem alljährlichen Adventscafé und dem Sponsorenlauf im Schuljahr das Kinderdorf. Zudem hat jede Klasse ein Patenkind im Kinderdorf, dem die SchülerInnen unserer Schule regelmäßig Briefe und Bilder schicken. Für mich ist diese Reise eine tolle Möglichkeit, mir selbst ein Bild vom Kinderdorf machen zu können und endlich die Kinder und Pflegemütter persönlich kennenzulernen.“ In Hindrike Heetderks Koffer befinden sich Briefmappen und Bildersammlungen für Maame Yaa, Maabena, Isaac, Douglas, Ebenezer, Blessing Jnr. und Blessing Snr, George Jnr. und George Snr., Daniel und Kwaku. Die elf fünf- bis zwölfjährigen Kinder leben zurzeit im Kinderdorf. „Wir reisen mit zwei Koffern ein und mit einem Koffer aus“ lacht Ursula Schneiders. Sie hat Nordhorner Fußballvereine wie z.B. der SpvvG Brandlecht-Hestrup erflogreich um ausrangierte Fußballtrikots gebeten und ist gespannt, wie diese bei den SchülerInnen der Old Adwampong Community School ankommen.
Mit drei bis unter das Dach bepackten Geländewagen macht sich die Reisegruppe nach ihrer Ankunft in Accra auf den Weg nach Kumasi. Begleitet werden die Reisenden von James, Agoro und Ben, drei einheimischen Fahrern und Guides, die während der gesamten Reise immer wieder exklusive Einblicke in das ghanaische Leben und Arbeiten geben.
Nachdem die ersten Tage zum Sightseeing in Kumasi inklusive eines Besuches des Kejetia-Marktes – dem größten Markt in Westafrika – sowie zur Erholung am Lake Bosumtwi genutzt wurden, führt die Reiseroute am vierten Tag Richtung Old Adwampong. Bevor jedoch das Kinderdorf am Vormittag von Tag 5 besucht wird, steht eine besondere Audienz an. Der Chief des kleinen Dorfes Adunku hat uns eingeladen und möchte sich bei Nkwadaa fie – Ein Haus für Kinder in Ghana e.V. für die Unterstützung des Kinderdorfes und vor allem der Schule bedanken. Seit Eröffnung der Schule besuchen auch viele Kinder aus Adunku die kleine Dorfschule in Old Adwampong und erhalten so die Möglichkeit, eine kostengünstige, qualitativ hochwertige Schulbildung zu bekommen. Ich als Geschäftsführerin von Nkwadaa fie – Ein Haus für Kinder in Ghana e.V. nutze dieses Treffen mit dem Chief auch dazu, mich bei dem Chief zu bedanken für die Unterstützung zu bedanken. So spendierte er der Schule z.B. neue Trommeln für den täglichen obligatorischen Morgenappell. Zum Dank übergeben wir dem Chief eine Komplettausstattung von Fußballtrikots für die Fußballmannschaft von Adunku. Meine Mitreisenden sind von diesem Treffen sehr beeindruckt. „Wann hat man schon mal die Möglichkeit, einem traditionellen ghanaischen Oberhaupt die Hand zu schütteln? Das Zeremoniell erinnerte an die Audienzen bei Königen…zumindest stelle ich mir das so vor“, sagt Leonie, Psychologiestudentin.
Die Tage fünf und sechs stehen ganz im Zeichen der Begegnung mit den Kindern und Mitarbeitern im Kinderdorf und in der Schule. Der Empfang ist überwältigend. Nach fast zwei Jahren sehe ich endlich „meine“ Kinder wieder, mit denen ich so viele Dinge erlebt habe und beobachten konnte, wie wichtig ein sicheres Zuhause, regelmäßige Zuwendung sowie Verpflegung für die Kinder sind. Alle Mitreisenden werden sofort in Beschlag genommen, spielen Fußball auf dem rotsandigen Schulhof, pusten unzählige Luftballons auf, verteilen Unterrichtsmaterial und verbringen einige Zeit in den Schulklassen.
Im Kinderdorf ist der Empfang warm und herzlich. Nach einem Rundgang über das Gelände lädt der neue pädagogische Leiter der Kinderdorfes, ein pensionierter ghanaischer Sozialpädagoge, ein zum Gespräch und wir erfahren, wie sich das Kinderdorf in den vergangenen Monaten entwickelt hat. Mit ein wenig Sorge blicken wir gemeinsam in die Zukunft, denn die größte Herausforderung ist es, den regelmäßigen Unterhalt des Kinderdorfes sicherzustellen. „Am wichtigsten ist es momentan, dass die hier lebenden Kinder weiterhin regelmäßige Mahlzeiten, Kleidung, Gesundheitsversorgung sowie Schulbildung erhalten. …und natürlich, dass wir unsere Mitarbeiterinnen, die sich rund um die Uhr um die Kinder kümmern, bezahlen können. Leider bekommen wir von ghanaischer Seite kaum Unterstützung,“ erläutert der Kinderdorfleiter. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass lediglich zur Weihnachtszeit einige einheimische Kirchengemeinden Sach- und Lebensmittelspenden in das Kinderdorf bringen. Von der ghanaischen Regierung ist auch weiterhin keine Unterstützung zu erwarten. Und das, obwohl das Kinderdorf offiziell registriert ist und alle Auflagen erfüllt. Zudem stellt es ein positives Gegenmodell zur sonst üblichen Massenverwahrung von Straßen-, Waisen-, und anderen bedürftigen Kindern dar. Nicht selten werden die besonders Schutzbedürftigen von scheinheiligen Heimleitungen instrumentalisiert, um sich selbst zu bereichern. „Statt dass die Lebensmittel, Geld- und Sachspenden bei den Kindern ankommen, behalten manche Heimleitungen diese für sich und lassen die Kinder verwahrlosen. Denn mit dem Klischeebild vom hungrigen Kind in schmutziger Kleidung lässt sich hier viel Geld machen“, beschreibt LoszuGhana-Mitarbeiter Bethel Amah die Lage. Im Gegensatz dazu steht die mittlerweile mehr als sechsjährige Partnerschaft zwischen Nkwadaa fie – Ein Haus für Kinder in Ghana e.V. und der LoszuGhana Association. „Wir stehen in regelmäßigem, gutem Kontakt zu den MitarbeiterInnen in Ghana. Außerdem erhalten wir über alle getätigten Spendenüberweisungen eine detaillierte Auflistung der Ausgaben sowie die entsprechenden Belege. Updates mit Fotos und Sachberichte ermöglichen eine größtmögliche Transparenz, die wir unsern UnterstützerInnen schuldig sind,“ erklärt Jenny Schoemaker, erste Vorsitzende des Nordhorner Vereins.
Der persönliche Kontakt zu den ghanaischen MitarbeiterInnen der LoszuGhana Association sowie das sich gegenseitig entgegengebrachte Vertrauen haben es in den vergangenen Jahren bewirkt, dass sich auch größere Institutionen wie z.B. der Daimlerkonzern und der Rotarier Club Uelsen/Coevorden an dem Projekt beteiligen. Durch die finanzielle Unterstützung von ersterem wurde der Bau eines solarbetriebenen Bildungszentrums inkl. Computerraum und Bücherei verwirklicht. Der Rotarier Club unterstützt u.a. das Schulessen sowie die Sicherstellung der Gehaltszahlungen inkl. Sozial- und Rentenversicherung aller an der Schule Angestellten.
Nach vielen aufregenden Stunden, intensiven Gesprächen und regem Austausch mit den Kindern und MitarbeiterInnen im Kinderdorf und in der Schule verabschieden wir uns mit dem Versprechen, dass dieser Besuch nicht der Letzte war.
Die letzten Tage unserer Ghanareise sind gespickt mit besonderen Einblicken in das ghanaische Leben. U.a. besuchen wir einen Hersteller von ganz besonderen Särgen. „Je nach Wunsch der Hinterbliebenen oder dem Beruf des Verstorbenen fertigen wir entsprechende Särge für die letzte große Reise an,“ erläutert der Schreinermeister und zeigt auf die übergroße Nachbildung eines Fischkorbes in Rohform. Der Verstorbene war Fischer und soll nun entsprechend beerdigt werden. „Wenn der Sarg fertig ist, wird der größte Teil des Sarges mit großen und kleinen Holzfischen verziert und dann realitätsnah eingefärbt.“ Ein Blick in den uns ausgehändigten Bildband zeigt, dass hier keine Wünsche offen bleiben. Sei es ein großer Kochtopf, eine Bibel, eine Schlange, eine Kakaoschote oder die Nachbildung eines berühmten Bauwerkes: In dieser Holzwerkstatt wird versucht, die Wünsche der Kunden umzusetzen. „Viele der Särge werden aber gar nicht als solche genutzt, sondern z.B. für Ausstellungen angefordert“, so der Schreinermeister. Es mag für uns etwas wunderlich erscheinen, ist aber definitiv eine andere, interessante Art, sich mit dem Tod zu befassen.
Der Besuch einer Palmölfabrik – auch, wenn das Wort Fabrik hier eigentlich fehl am Platz ist – beeindruckt uns alle nachhaltig. Frauen und Kinder tragen die großen, schweren Schüsseln mit den verschiedenen Zwischenprodukten der Palmölproduktion. Sie tragen weder Mundschutz oder andere Schutzkleidung und sind so sind dem riechbar giftigen Qualm ungeschützt ausgesetzt. Um das benötigte Feuer möglichst schnell in Gang zu bringen, werden Teile von alten Plastikkanistern verbrannt. „Unvorstellbar…ich schaue jetzt genauer hin, in welchen Kosmetika und Lebensmitteln Palmöl drin ist“, so Marie, Studentin der Sozialen Arbeit.
Unter den Reisenden ist auch eine Abfallmanagerin mit großem Interesse an einem Besuch der größten Elektroschrottdeponie der Welt: Agbogbloshie in Ghanas Hauptstadt Accra. Auf dem Weg zum Flughafen machen wir einen Abstecher in den Stadtteil Accras, wo tonnenweise vermeintlich funktionsfähige Elektrogeräte, Computer, Handys etc. aus Europa entsorgt werden. James, einer unserer Fahrer, warnt uns vor: „Die Deponiebetreiber lassen keinen Besuch zu. Wir werden wahrscheinlich noch nicht einmal in die Nähe der Deponie kommen. Außerdem wurde ein Teil der Elektroschrotthalde in einen anderen Stadtteil verlegt.“ Er soll Recht behalten und so fahren wir durch Agbogbloshie, über dem eine giftig riechende Wolke von verbrannten Elektrogeräten hängt. Auch, wenn wir die Deponie nicht direkt sehen, prägt sich dieser Abstecher in unseren Köpfen ein. Unvorstellbar, dass auf der riesigen Halde vor allem Kinder die entsorgten Computer auseinandernehmen und dann die Kleinteile verbrenne, um an die dort versteckten wertvollen Metalle zu gelangen: Kupfer, Coltan, Gold, danach suchen sie im Kampf ums tägliche Überleben. Ihre Lebenserwartung ist erschreckend gering, was aber angesichts der giftigen Substanzen, die sie ungeschützt einatmen, kein Wunder ist. Im Internet findet sich eine Vielzahl von Dokumentationen zu dem Thema. Das Eine-Welt-Netz NRW hat eine Ausstellung über Agbogbloshie erstellt und konfrontiert mit der Frage, was jeder Einzelne an der unvorstellbaren Situation ändern kann und wie ein nachhaltiges Abfallmanagement aussehen kann.
Mit vielen Eindrücken und Bildern in unseren Köpfen, spannenden Begegnungen und nachdenklichen Momenten machen wir uns wieder auf den Weg zurück nach Deutschland. Es wird nicht unsere letzte Reise nach Ghana gewesen sein.